Ein Bilderbuch zum Träumen
Von Ida Küttner-Funke
Wenn man ein Buch gelesen hat, gern und genau, ist es schwierig, sich seine Verfilmung anzuschauen. Das ist nicht unbekannt, und es kann nur zu einem Genuss werden, wenn man ohne Erwartungen bereit zu größter Flexibilität im Kinosessel Platz nimmt.
Bei der Verfilmung Pascal Merciers philosophischen Roman „Nachtzug nach Lissabon“ ist diesbezüglich besondere Vorsicht geboten. Niemand der dermaßen großen Anzahl von Lesern eines Bestsellers kann davon ausgehen, dass ausgerechnet seine persönlichen Lieblingsstellen und die damit verbundenen Gedanken und Handlungsstränge umgesetzt werden. Gelingt es allerdings, sich von der Fülle des Buches und seiner eigenen Assoziationen loszulösen, begeistert es, den Protagonisten Raimund Gregorius, überzeugend dargestellt von Jeremy Irons, auf einer spannenden Reise nach Lissabon, zu dem Arzt und Philosophen Amadeu Inácio de Almeida Prado und zu sich selbst zu begleiten. In weiteren Rollen sind Bruno Ganz, Mélanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck,Charlotte Rampling, Lena Olin, Christopher Lee, Burghart Klaußner und August Diehl zu sehen.
In Zürich bewahrt Gregroius eine Portugiesin vor dem Selbstmord. Er verliert sie aus den Augen, aber es bleibt ihm ihr Mantel, in dessen Tasche er ein Buch von Prado findet und ein Ticket für den Nachtzug nach Lissabon. Fasziniert von dem Roman und nachdenklich über sein Leben geworden besteigt er den Zug.
Es ist ein Genuss, mit ihm den Portugiesen, ihrem schönen Land, Lissabon, seinen Straßen und Gebäuden, dem Tejo und dem Ozean im Film zu begegnen, endlich für zwei Stunden einzutauchen in die Bilder einer poetischen Stadt, sich ganz dorthin versetzt zu fühlen. Das Auge kostet aus, worauf es schon lange gewartet hat.
Wer Lissabon kennt, so wie ich, die ich dort einige Jahre gelebt habe, außerdem in dieser Stadt beim Drehen des Filmes „Taxi Lisboa“ von Wolf Gaudlitz assistierte, erkennt sofort die authentische Darstellung einer Welt, die sich die Portugiesen nicht nehmen lassen. Der Regisseur Bille August stellt sie mit Liebe zu Details dar und mit künstlerischer Professionalität gelingt es ihm, den großen Bogen stimmungsvoll erscheinen zu lassen. Allein das macht den Film schon zu einem ästhetischen Genuss. Er vermittelt einen Traum, den man, wenn man möchte, auch selbst einmal realisieren kann.
Besonders reizvoll sind die Rückblenden in die Vergangenheit, die den Zuschauer in ein älteres Lissabon mitnehmen, ihn bezüglich Personen und Ambiente in eine andere Zeit versetzt. Eine Bereicherung, auch für den Leser mit phantasievoller Vorstellungskraft. Und es wird deutlich, dass die Spuren des vergangenen Jahrhunderts kontinuierlicher in die Gegenwart führen als die der sich rasanter verändernden Städte. Ein Kleinod, wenn man die heutige Schnelllebigkeit betrachtet.
Aber sie führen uns auch in die düstere Geschichte der Diktatur Salazars. Hier dürfen wir dankbar sein, nicht eine Bandbreite von Grausamkeiten mit ansehen zu müssen. Als Beispiel reicht es, dass dem Pianisten Joao Eca, der sich im Widerstand engagierte, die Hände verkrüppelt werden. Die geschichtlichen Hintergründe muss der Film nicht erklären.
Ohnehin erzählt der Film nicht eine völlig leicht verdauliche Geschichte. Die schillernde Figur des intelligenten Schülers, Arztes und Philosophs, verliert dort an Glanz, wo sie der drastischen Realität der Diktatur gegenüber steht und dort, wo sie in der Liebe scheitert. Das zeigt der Film ohne Umschweife deutlich und klar. Prado engagiert sich im Widerstand, nachdem er dem gefürchteten Geheimdienstmörder Mendes, dem Schlächter von Lissabon, das Leben gerettet hat. Er tut es, weil er Arzt ist. Aber glorreich wirkt das nicht. Gleichzeitig wird er mit dem Konflikt, seinem Freund die Geliebte zu entreißen nicht fertig, wird schließlich noch der Verlierer in der Liebesbeziehung zu dieser Frau. Hier entscheidet der Film richtig zwischen Geschichte erzählen und dem Focus auf philosophische Dialoge. Diese kommen dennoch nicht zu kurz.
Björn Hayer folgert am Schluss seiner Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung vom 10. März 2013: „…, erlangt der Film seinen Feinschliff in den zarten Momenten, die wir mit den Figuren verbringen.“ und später folgert er weiter: „Nur angesichts der Kontingenz des Lebens gewinnt der Wert des Augenblicks, den wir mit anderen teilen, an Bedeutung. Dieser beseelte Film macht ihn spürbar. Es ist ein schönes Geschenk, dass er uns jene kleinen Höhepunkte des Innehaltens gewährt“.
Einige dieser Höhepunkte sind Gregorius` Gespräche mit seiner Augenärztin, die Martina Gedeck mit der ihr eigenen Sensibilität sympathisch, kompetent und so sanft verliebt spielt, dass man sich nach den brisanten Szenen wieder entspannen kann und durch den offenen Schluss seine eigene Geschichte weiterspinnen kann, ohne dass es platt wird. Der Zuschauer erhält Denkanstöße für die eigene Situation – auch das gelingt dem Film. Und deshalb kann man ihn ruhig noch ein paarmal anschauen, und wer es möchte, auch noch ein paarmal zur Vertiefung das Buch lesen – das allerdings am besten in einem Café in Lissabon am Tejo.